Hier gibt es eine kleine Zusammenfassung der Wanderung von Berlin nach Leipzig – 180 Kilometer für “Keine Gewalt im Stadion”. In den kommenden Wochen werde ich mir nochmal ausführlicher Zeit nehmen, all das Erlebte und die vielen Emotionen detailliert zu dokumentieren.
Am Samstag, den 15.10.2022 gastierten die BlauWeißen vom Hauptstadtclub zum Auswärtsspiel bei RasenBallsport Leipzig. Dabei zählt die Dienstreise nach Sachsen zu den kürzesten Auswärtsfahrten für die Hertha-Anhängerschaft. Hertha’s treuer Fan Dirk Johl und meine Wenigkeit haben sich für den Auftritt in der Messestadt eine ganz besondere Aktion überlegt. Am Montagmorgen (10.10.22) haben wir uns auf den Weg gemacht, um in sechs Etappen die rund 180 Kilometer zu Fuß abzuspulen. „Matthias und ich sind gute Freunde und hatten die Idee, diese Wanderung unter dem Motto ‘Keine Gewalt in Fußballstadien’ zu machen. An jedem Tag behandeln wir ein unterschiedliches Thema. Wir wollen einfach Spaß haben“, erläutert Johl mit strahlenden Augen. Hertha BSC: “Top Aktion und eine gute Reise!”
180 Kilometer zu Fuß vom Olympiastadion zur Red Bull Arena
Tag 1
„Fußball und Gesundheit“
Berliner Olympiastadion – Potsdam
28,8km
Nachdem wir einen kleinen Fototermin vor der Hertha-Geschäftsstelle in Berlin hatten und unsere Aktion auf der Webseite der Herthaner sowie deren Twitter Account veröffentlicht wurde, gab es für uns kein Zurück mehr. Um 10:10 Uhr am 10.10.22 ging also auf nach Leipzig. Der erste Tag war unerwartet ruhig, denn er führte uns lange Zeit durch den Grunewald und später durch Wannsee, was auch nicht unbedingt ein Gefühl von Großstadt vermittelte. Die rund 29 Kilometer waren also weitestgehend in der Natur und es hieß durchatmen. Auch Babelsberg ließ Urlaubsfeeling aufkommen und so erreichten wir gegen Abend Potsdam Waldstadt, wo unser erstes Nachtquartier war.
Erste Fans und RS 2 Radio-Interview
Tag 2
„Fußball und Gewalt, NÖ!“
Potsdam – Treuenbrietzen
38,9km
Der zweite Tag begann weitaus früher, denn dieser war gleich die Königsetappe der Tour. Wir verließen Postdam in Richtung Süden und durchquerten schönste Natur mit Mischwald. Bei Michendorf und Seddin hieß es dann aber vorerst Abschied nehmen von der Ruhe. Ab hier waren wir nämlich treuer Begleiter der B2 und deren Verkehr. Das sollte unserer Motivation keinen Abbruch geben und wir genossen den Weg weiterhin mit angeregten Gesprächen.
Kurz hinter Seddin stoppte plötzlich ein Auto und ein junger Mann kam auf uns zu, der uns bereits suchte. Er hatte die Aktion auf der Hertha-Seite gesehen und wollte unbedingt ein Foto mit uns machen. Kurz darauf ein Anruf und die Anfrage, ob wir nicht Lust auf ein Radio-Interview hätten bei 94,3 RS2 – aber klar doch! Es begann langsam überwältigend in unseren Köpfen zu werden. Nach dem Interview mit 94,3 RS2 dann die weitere Infos, dass es auch einen weiteren Beitrag auf dem Instagram Profil der Sport Bild geben würde am Folgetag. WOW!
Voller Euphorie und einkehrenden Schmerzen absolvierten wir die knapp 40km mit Bravour und kehrten in der Dämmerung in Treuenbrietzen ein, wo wir nächtigten. Einige Meter vor der Ankunft erlebten wir eine weitere Überraschung. Eine junge Mutter mit ihren beiden Töchtern stoppte uns ebenfalls. Die beiden Mädels wollten auch unbedingt Fotos mit uns, da auch sie auf Hertha’s Beitrag Fans unserer Aktion wurden. Einfach nur süß!
Jakobsweg, Innsbruck und andere Begleiter – Halbzeit in Sachsen Anhalt
Tag 3
„Fußball im Wandel der Zeit“
Treuenbrietzen – Wittenberg
33,2km
Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt ging es an Tag 3 bereits um kurz nach 6 los zum 2km entfernten Bäcker in Treuenbrietzen, wo wir Bekannte trafen, Kaffee tranken und schwatzten. Ein gemütlicher Start in einen sonnigen Tag. Über die “Esel bück dich”-Straße verließen wir die Stadt und es ging durch die Natur, die unser Land Brandenburg ausmacht. Weite Mischwälder, Kiefernwälder und absolute Stille. Entlang der Nieplitz verloren wir uns zeitweise in unseren Gedanken und nach über zwei Tagen wandern, gab es nach genau 13 Kilometern des Tages die erste wortlose halbe Stunde der Tour. Idylle pur und wir hätten ewig sitzen können. Nach zwei Tagen Dauer-Geplapper war das fast befremdlich.
Die nächste Rast gab es dann im ersten energieautarken Dorf Deutschlands – Feldheim. Hier verbrachten wir kreative lustige Zeit und erreichten kurz darauf Marzahna. An der Tanke gab es Kaffee und einen Gast der Rast, der uns berichtete mit dem Fahrrad auf dem Weg von Innsbruck nach Dänemark zu sein. Da fühlen sich 180 Kilometer per Pedes etwas mager an. Kurz darauf erreichten wir das Bundesland Sachsen Anhalt, wo wir auch unsere Halbzeit von 90 gelaufenen Kilometern feiern durften. Von hier an pilgerten wir weiter und gaben unserer Tour einen besonderen Touch. Wir liefen nämlich einige Kilometer den Jakobsweg, der wirklich wunderschön gelegen war in dieser Gegend.
Ein Rentnerpaar berichtete uns stolz bei einer weiteren Rast unsererseits, dass sie heute bereits 4km spazieren waren und es sich wunderbar anfühlt, so viel zu laufen. Dem hatten wir nicht entgegenzusetzen. Nach genau 100 gesamten Kilometern erreichten wir unsere Unterkunft in der Lutherstadt Wittenberg und bedienten uns erstmals am Lieferservice der Stadt. Punktlandung!
Elbe, Pratau, Ochsenkopf – dem Ziel Schritt für Schritt näher
Tag 4
„Nachhaltig im Verein – wie nachhaltig sollte Fußball sein?“
Wittenberg – Rotta
28,4km
Leipzig wir kommen! Der Tag begann nach einem entspannten Frühstück und einem Spaziergang durch die hervorragende Innenstadt Lutherstadt Wittenberg’s. Anschließend streiften wir über die Weite der Elbwiesen und überquerten die Elbe. Bis hier hin war Wittenberg eindeutig Hertha-Hoheitsgebiet. Hier schien man die Elbe als Grenze zu sehen, denn südlich dieser war plötzlich alles nur noch Union Berlin.
Hinter der Elbe sehnten wir uns nach einer Pause mit Stärkung und wurden in Pratau fündig. Der Platzwart des SV Blau-Rot Pratau öffnete uns die Pforten und gestattete uns, auf der Trainerbank die wohlverdiente Stärkung zu genießen. Nebenbei erzählte uns der Platzwart Stories über den Verein und die Freude der Gastmannschaften über diesen überragenden Platz. Zudem holte er uns auch noch mal zurück ins Jahr 2022, als Pratau dem Elbehochwasser zum Opfer fiel. Das Wasser stand hier bis bis nur wenige Zentimeter unter der Latte des Tores. Es fiel sehr schwer aufzubrechen, aber wir mussten weiter.
Ein Stückchen weiter gab es den nächsten Schnack in Eutzsch. Ein älterer Herr bot uns Äpfel an, die sein Garten en masse zur Verfügung hatte. Die frische Vitamine wurde mit Fußballgeschichten seiner Zeit verfeinert. Er war überzeugter Freiburg Fan, was unter anderem dem geschuldet war, dass seine Tochter den Breisgau als Wahlheimat wählte. Kurz darauf meldete sich 94,3 RS2 erneut, um ein weiteres Interview zum aktuellen Zwischenstand zu führen. Am wunderschönen Bergwitzsee war Zeit für eine knappe Stunde Pause und absolute Ruhe. Nach einem ca. 15 minütigen Gespräch mit einem gut informierten RB-Fan verbrachten Dirk und ich den Rest der Zeit wortlos und genießend. Nach und nach entfernten wir uns von befahrenen Straßen und tauchten letztendlich in Laubwälder ein, die zum Träumen verführten. Nördlich der Dübener Heide wurde die Unterkunft am Ochsenkopf erreicht, einem in die Jahre gekommenen Hotel im Paradies.
Dübener Heide, FV Bad Düben, Berliner Rundfunk und Macarena
Das Hotel in der Dübener Heide war in die Jahre gekommen, ja. Zudem lag es im Paradies und hätte trotz Einrichtung aus den 1990ern perfekt sein können. Leider waren auch die Ansichten zum Kundenservice fast urzeitlich. Mit der Aussage “Um 6 gibt es noch kein Frühstück, da die anderen Gäste erst um 8:30 Uhr frühstücken wollen. Ich kann ihnen frühestens um 8 anbieten”, vollzogen wir eine Planänderung und entschlossen ohne Frühstück den Weg durch die Dübener Heide zu absolvieren. Ich möchte dazu sagen, dass wir uns sehr auf diesen Abschnitt gefreut haben und dieser auch hätte perfekt beginnen sollen.
Dennoch ging es guter Dinge, ohne Essen und voll Motiviert kurz nach 6 Uhr in den stockdüsteren Wald. Vorerst stolperten zwei dusselige Wanderer hungrig und ohne Licht durch das dunkle Gehölz. Hier und da ein Knacken, ein flüchtendes Tier und wieder mal angeregte Gespräche, so liefen wir dem Tag entgegen. Satte 12,5 Kilometer inmitten schönster Natur hatten wir vor uns, bevor der nächste Ort und ein Bäcker auf uns warteten. Bevor wir dort aber ankommen sollten, wartete ein ausführliches Interview mit dem Berliner Rundfunk 91,4 auf uns.
Kein Kaffee in Schwemsal
Sich nach Kaffee sehnend erreichten zwei Wanderer den Ort Schwemsal, wo sie ausgehungert im einzigen Bäcker erfahren mussten, dass es genau hier den einzigen seiner Art ohne Kaffee gibt. Sie vergnügten sich mit trockenen Brötchen und folgten der Empfehlung, dass es zwei Kilometer weiter eine Filiale mit Kaffeeangebot geben wird.
Kaffee-Drama in Sachsen Anhalt
Nach einem von der Verkäuferin angekündigten großen Kaffee, der lediglich an zwei schwachen Espressi in einem Becher erinnerte, liefen wir der Stadt Bad Düben entgegen und erreichten das 4. Bundesland unserer Tour – Sachsen. In Bad Düben angekommen kehrten Dirk und ich beim FV Bad Düben ein. Hier waren der Platzwart und sein Sohn, der beim FC Eilenburg Jugendtrainer ist, anwesend und machten uns den Verein samt Gegend schmackhaft. Zu weiteren angeregten Gesprächen zum Lieblingssport der Nation gab es leckeren Kaffee aus dem Sportlerheim und wir fühlten uns wieder mal zu Hause. Faszinierend, wie eine solche Wanderung verbindet. Leider musste auch hier auf Wiedersehen gesagt werden, denn die vor uns liegenden Kilometer riefen laut.
Kraftlos zum Ziel und der letzten Nacht engegen
Um die 10km vor dem Ziel wurden wir wieder mal erkannt und der freundliche Herr meinte etwas eingeschüchtert, dass er aber RB-Fan ist. Das war irgendwie sehr sympathisch und offen wir wir sind, wurde wieder mal kurz geplaudert. Entlang der Straßen und mit erstmals wirklich komplett schwindenden Kräften zog sich der restliche Weg wie Kaugummi. Zudem setzte die Wandermacke ein und wir redeten und sangen nur noch wirres Zeug. Hohenroda, wir kommen! Die letzte Nacht verbrachten wir zu unserer Enttäuschung in zwei Einzelzimmern, dafür aber in einer liebevollen Unterkunft.
Leipzig und die letzten Meter
Wehmütig steuerten wir in den letzten Tag. Gut gestärkt und realisierend, dass es sich nun um den finalen Weg handelte, ging es auf in die Messestadt. Laut, lauter am lautesten – entlang der B2 vor den Toren Leipzigs gab es zur Wehmut noch eine Portion Angst, umgefahren zu werden. Aber alles hat ein Ende, so auch dieser Horrortrip an der Bundesstraße 2. Leipzig, wir waren da!
Trödelnd zögerten Dirk und ich die Ankunft heraus und spickten den Weg mit Sightseeing beim SV Rotation Leipzig 1950 und im wunderschönen Stadion des Friedens. Irgendwann aber war sie dann zu sehen, die Red Bull Arena. Plötzlich gab es wieder Stille und unerwartet schwanden jegliche Schmerzen aus den Gliedern. Wir waren da und was uns hier einholte waren Tränen in den Augen. Dieser emotionale Moment und das Realisieren des Ziels wird uns niemand mehr nehmen. Und auch nicht das, was dann folgte!
Hertha-Wanderer und ihre Fans
Zugegeben, wir hatten nicht im Geringsten erwartet, was diese Aktion für eine Welle schlug und es wurde erst so richtig bewusst, als wir direkt an der Red Bull Arena ankamen. Hier überschlugen sich die Ereignisse heftigst. Eine Traube Hertha-Fans stürmte auf uns zu und bat um gemeinsame Fotos und Berichte zur Tour. Es wurden immer mehr Menschen um uns und das Erlebte wurde somit erstmal nicht verarbeitet. Nach einem Termin mit dem Fotografen der Alten Dame, gab es ein weiteres kurzes Meeting mit Autor Lucas Vogelsang vom genialen Podcast Fußball MML. Auch die weiteren zwei Stunden bestanden aus Hupkonzerten, Jubelrufen und unzähligen Fotos mit unzähligen Herthaner*innen. Das alles ist bereits immer noch nicht vollends realisiert im Kopf und dieser Support machte einfach nur stolz.
Liebevolle Ankunft mit Andacht – Holy Bulls vor dem Spiel
Vor der Reise wurden wir bereits eingeladen zur Andacht in der Stadionkapelle Gloria. Dieser liebevollen Einladung der Holy Bulls, übrigens der einzige RB-Fanclub mit eigenem Bus, folgten wir gern. Jens von den Holy Bulls holte uns aus dem Fotorummel ab und fuhr uns zur Kapelle. Diesen so herzergreifenden und lieben Empfang hatten wir nicht erwartet. Dirk konnte endlich Druck ablassen und ergab sich seinen Tränen. War diese Kapelle nicht der perfekte Ort dafür? Oh ja, er war es und die lieben Umarmungen der heiligen Bullen fingen ihn sicher auf. Auch ich konnte meine Augen mit ausreichend Feuchtigkeit versorgen und war endlich angekommen. Übrigens war es die erste Andacht meines Lebens, die ich im Anschluss erlebte und es erfüllte mich unerwartet. Ich hatte das Gefühl, genau jetzt am richtigen Ort zu sein nach dieser Wanderung.
Anschließend brachten uns Jens und weitere Holy Bulls zu unseren Plätzen und dann war es endlich soweit – Anpfiff. Alles weitere gibt es später im Detail und ich freue mich schon, die erlebten Emotionen zu veröffentlichen.
Bis dahin möchte ich mich jetzt nur noch aufs herzlichste Bedanken bei allen, die uns so sehr supporteten. Auch bei unseren Familien für die Unterstützung, bei Dirk für diese überragende Wanderung, bei Hertha, RS2, Berliner Rundfunk, Conrad und der Sport Bild sowie der Märkischen Allgemeinen. Auch Robert möchte ich danken für die kurzweilige Rückfahrt. Und ein ganz besonderer Dank geht an die Holy Bulls – ich hätte mir kein besseres Finale vorstellen können, als es mit euch zu verbringen!