Puls hat man! Und ganz besonders in der Hansestadt Greifswald gibt es eine ganze Menge davon. 50 Jahre Tradition, skurriles Scouting und geschichtsträchtige Hotspots in der gesamten Stadt lassen einen Greifswalder Fußballverein ganz besonders hervorstechen. Der GSV Puls 1970 ist ein Fußballverein, der besonders hier im Nordosten Deutschlands nicht wegzudenken ist. Anlässlich des 50-jährigen Bestehens der Pulser haben wir von Vi Tva Sports Anlass genug gehabt, ein etwas anderes Interview zu führen. Dieses präsentieren wir euch nun in zwei amüsanten Etappen. Heute im ersten Teil bevorzugen wir die traditionelle Schriftform, bevor wir dann in Teil 2 den lieben Hannes vom GSV Puls 1970 zu einer geschichtsträchtigen Stadtrundfahrt durch Greifswald entführten. Aber nun lest erst mal selbst, denn dieses Ding ist ein Schenkelklopfer voller Satiere, der sich durchaus wild im Kreisel dreht!
Traditionsverein feiert 50 jähriges Bestehen
Anlässlich zum 50. des GSV Puls 1970 führten wir ein Interview mit Vereinschronist Dirk “Hannes” Weder. Kein anderer als er, kennt sich so gut mit dem Traditionsverein der Pulser aus und das wobei er ursprünglich aus der Nähe von Hoyerswerda (Sachsen) stammt. Das Internet der Dinge und das Darknet ist voll von Gerüchten zu den Pulsern… einige davon besprechen wir jetzt gemeinsam mit Hannes, der einst gemeinsam mit seinem Sohn Yannick auf dem Platz stand und ein besonderes Vater-Sohn-Duo ist.
Interview mit Dirk “Hannes” Weder vom GSV Puls 1970
Vi Tva Sports: Was sagt ihr zu dem Gerücht, dass euer Schlachtruf “Puuuls” von einem Fanruf zu einem der bekanntesten Torjäger der Elftal, “Ruuud” van Nistelrooy, abgekupfert sein soll? Alles nur geklaut oder doch echt?
Dirk “Hannes” Weder: Über das Gerücht lächeln wir. „Puuuls“ schallte es schon 1990 über die damalige Spielstätte auf´m Riems, da träumte der niederländische Stürmerstar 14jährig noch von einer Torquote eines Michael Sturm oder Roland Kuhl. Das ist eine Frage, die ihr ein wenig umgebaut der Fanbase eines Ruud van Nistelrooy stellen solltet.
Euer Durchschnittsalter ist höher als die Konfektionsgröße der meisten Spieler. Hingegen dem Trend zu “Jugend forscht” scheint ihr also eine andere Strategie zu verfolgen?
Wir nennen das Doppelstrategie: Masse und Klasse. Wobei die Masse deutlich mehr und höhere Amplituden aufweist als die Klasse. Letztendlich liegt es in der Verantwortung des Zeugwarts, pro Trikotsatz vier XXL-Hemden bereitzustellen und in der Selbstverantwortung der Spieler, dass sie in diesen noch leistungsorientiert atmen und wirken können. Das Alter spielt für diese Strategie wie auch für die Forschung keine entscheidende Rolle. Solange das DFB-Netzwerk bei der Eingabe der Geburtsdaten nicht kollabiert, ist alles in Ordnung.
In den Bars und Clubs dieser Stadt gehört ihr zum Inventar… bei den Spielen soll daher der Promillewert eurer Spieler höher als die Sprintanzahl von Kreiselkalle in einem Spiel sein?
Das ist sicher kein Alleinstellungsmerkmal der Pulser und fester Bestandteil unserer äußerst offensiven Öffentlichkeitsarbeit. Früher besaß der Verein mit der „Quelle“ an der Ecke Brink-/Feldstraße noch eine feste Stammkneipe, bei deren Betreten du noch heute die Stimmen eines Kuhl, eines Schering oder eines Neese durch die atmosphärische Aura schwirren hörst. Mit der Zeit mussten sich die Spieler auch hier an das gestiegene Angebot anpassen und agierten bei der Auswahl der Lokalitäten flexibler. Und ehrlich: wer hört schon gern bei Betreten eines Lokals den barseitigen Ausruf „Schon wieder die Puuulser!“? Letztendlich ist das gelebte Rotation. Zu den Promillezahlen kann ich keine nachweisbaren Daten liefern, zumal der Verein bei deren Evaluation gewaltig geschlampt hat. Und Kreiselkalle heißt Kreiselkalle, da er kreiselt. Sonst würde er Sprintkalle heißen, oder? Als Vergleichsgröße völlig unbrauchbar. Im Übrigen ist Kreiselkalle der lebende Beweis, dass es neben Angler- und Jägerlatein auch ein Fußballerlatein gibt. Zudem dürfte er der einzige Fußballer der Welt sein, bei dem, falls er sich mal in den gegnerischen Strafraum geschleppt hat, die eigenen Mitspieler ein Abseits monieren. Reine Prävention, um den zukünftigen, wochenlangen Schilderungen Kreiselkallscher Heldentaten vorzubeugen.
Stimmt es, dass Spieler schon doppelte Identitäten annehmen wollten, nur um bei euch spielen zu können?
Das ist nicht ganz korrekt. Sie bekommen doppelte Identitäten, nachdem sie bei uns gespielt haben. Siehe Kreiselkalle. Oder 3TH. Lutz Härtel schoss mal drei Saisontore. Alle in einem Spiel. Daraus wurde Drei Tore Härtel oder kurz 3TH. Unter der Identität firmiert er inzwischen im Saarland.
Ein Vogel zwitscherte uns, dass ihr keinen Biersponsor bei Puls nötig habt. Wie kommt es, dass ihr dann noch keinen Partnervertrag mit einem Pfefferminzlikör-Hersteller habt?
Hier irrt der Vogel. Nötig haben wir ihn nicht, würden ihn aber sofort nehmen. Obwohl die Geschmäcker sehr verschieden sind. Pfefferminzlikör ist ja eher eine Modeerscheinung. Hat alles sein Jahrzehnt. Erst Brauner (aus Wilthen), später Whisky. Der Pfefferminzlikör erschien ja erst mit Weichmachern wie Frank auf dem Pulsplatz und betreffs Folgeerscheinungen kann ich angesichts dieser Personalie schon behaupten, dass dieses Getränk sehr, sehr müde machen muss. Keine Empfehlung für einen Partnervertrag.
Die Spieler nehmen bei euch eine besondere Rolle ein. Wo andere Vereine Sportlicher Leiter haben, die sich um Transfers kümmern, heißt es bei euch, dass das Scouting direkt im Geo-Keller oder in der Mensa gemacht wird und dein Sohn Yannick federführend die Verhandlungen direkt am Tresen durchführte.
Welche Rolle Yannick dabei spielte, kann ich nicht sagen, aber ich kann es mir vorstellen. In den 70ern und 80ern wurden die Leute direkt auf dem Bolzplatz oder in der „Quelle“ verpflichtet. Eine um 23:40 Uhr auf einem Bierdeckel getätigte Unterschrift galt dabei als verbindlich und als absolute Ehrensache. Ich selbst wurde 1992 von zwei Spaziergängern auf einem Tennisplatz rekrutiert, auf dem ich gerade Wolzow Peris (kam 1993 zu Puls) an die Grundlinie nagelte. Die beiden Spaziergänger trugen Trainingsanzüge von Puls und einer humpelte. Das alles kannte ich – also bin ich zum nächsten Training hin. Mit Michael Sturm habe ich mir dann oft Spiele der Uni-Liga in der Fallada-Straße angesehen. Die Jungs, die wir uns dort ausgeguckt hatten, bediente ich am Abend in der Bar im Geo-Keller. Erste Sondierungen, zu denen sich Michael Sturm dann ganz zufällig gesellte. Nachdem der das zweite Mixgetränk spendiert hatte, war der der Kandidat in der Regel reif für die Unterschrift. Wer benötigt da Sportliche Leiter?
Das mit den Spielertransfers in den Club ist für euch auch nicht immer so einfach, oder? Im Darknet heißt es, dass ihr donnerstags direkt nach dem Training an eurem Pulsplatz vorglüht und euch dann wundert, warum ihr mit euren Jogginghosen nicht in die Clubs der Hansestadt reinkommt. Inwieweit beeinflusst das eure Transferpolitik? Werden daher nur Verträge an trainingsfreien Partytagen geschlossen?
Der Entschluss, nach dem Vorglühen noch ein Etablissement aufzusuchen, ist in der Regel ebenso spontan wie die Erkenntnis, dabei immer noch in eine Jogginghose gehüllt zu sein. Einfluss auf die Transferpolitik hat das natürlich keine, zumal der zu Transferierende gleich einen ersten Eindruck davon bekommt, welche fashionbezogenen Gimmicks ihm der zukünftige Verein bieten kann. Tageszeit, Lokalität, Gemütszustand, Kleiderordnung etc. haben für den Abschluss von Verträgen nie eine Rolle gespielt.
Wie heilig ist euch euer Pulsplatz und was zeichnet ihn aus?
Heilig wäre übertrieben. Ich nenne es „Begegnungsstätte“. Hier werden Spielzüge rekapituliert, taktische Kniffe einer multilateralen und der Kreisliga adäquaten Begutachtung unterzogen, Kreiselkalles Taten gelauscht und kleckernden Pulsern die nächsten Strafkisten auferlegt. Man lernt Spielerfrauen und Spielermütter kennen, die Partner oder Söhne zur Nachtruhe abholen. Uwe „Bratsche“ Bredlow fand im Zuge einer spontanen Grabung einen Kronkorken aus dem letzten Jahrtausend.
Nun zum Sportlichen…. Was haltet ihr von eurem größten Erfolg der Vereinsgeschichte? Das Europapokalfinale gegen Juventus Turin hatte es doch in sich, oder?
Erfolg ist relativ. Und was willst du z.B. in Turin, wenn du dir nicht mal sicher sein kannst, ob wenigstens die Hälfte vom 16er Kader dort wirklich ankommt. Schließlich haben die schon Probleme, Nossendorf oder Malchin zu erreichen. Wie die Vergangenheit zeigte. Der größte Erfolg ist sicher, dass es den Verein überhaupt noch gibt, wo er doch einer der letzten ist, der aus der glorreichen Vergangenheit der Greifswalder Stadt- und Volkssportligen noch existiert.
Welche reellen sportlichen Erfolge sind denn für euch von größter Bedeutung?
Gewiss der Aufstieg 2001 in die Bezirksliga. Emotionales Herzschlagfinale, in der Folge Mannschaften, die man noch nie bespielt hat. In der Gründungszeit sicher das erste Spiel für die Jungs, in dem sie nicht zweistellig vom Geläuf gefegt wurden. Aufstieg (Bezirksklasse) und Pokalsieg 1994. Gibt einiges, was überraschend und neben fußballerischer Klasse auch dem Zusammenhalt in der Truppe geschuldet war.
Zum Schluss noch kurz ein Statement zu euren Vereinslegenden: Bobby, Fota, Stürmer oder dem Dicken (Erik)? Was zeichnet sie aus?
Naja. Bobby und den Dicken würde ich jetzt nicht als „Legenden“ bezeichnen. Bobby Riechert hat als Trainer Schub gebracht, war sehr erfolgreich (Aufstieg), wichtig als (Aushilfs)Kicker und hat hervorragende Arbeit geleistet. Aber er war nur kurz im Verein – ebenso der dicke Erik (der nur „dick“ genannt wird, da wir noch einen dünnen Erik hatten), dem noch mindestens 122 Tore zum Legendenstatus fehlen.
Micha Sturm hat natürlich über Jahre den Verein geführt und bei der Akquise von Sponsoren und Spielern ein fantastisches Näschen und eine gewisse Bauernschläue bewiesen. Zusammen mit Jörg „Fota“ Foth bildete er auf dem Platz über fast zwei Jahrzehnte ein kongeniales Duo. Fota besaß die Fähigkeit, aus dem Stand zentimetergenaue Pässe zu schlagen, die Micha Sturm erlief und präzise wie ein Uhrwerk mit dem rechten Innenspann verwertete. Über 300 Tore – das schafft keiner mehr. Stürmer hat es Puls zu verdanken, dass der Verein es über die Wende geschafft hat.
Irrwitzige Anekdote: 1990 musste die Genehmigung als e.V. beantragt werden. Trotz Abschreibens bei anderen Vereinen wegen Formfehlern dreimal abgelehnt. Stürmer ein letztes Mal hin zum Amtsgericht, wo sich eine Sekretärin darüber beklagte, den Panzerschrank nicht mehr öffnen zu können. „Guck ich mir mal an“ und paar Minuten später hatte Stürmer das Teil offen und Puls war e.V..
Fota erlangte zudem als Trainer Berühmtheit durch unvergessene Kabinenansprachen. Wenn diese mit den Worten „Habt ihr das Spiel von den Vereinigten Emiranischen Apparaten gesehen?“ beginnt, stieg der Lustfaktor auf die folgende taktische Aufstellung ins Unermessliche. Braungebrannt vom Ägypten-Urlaub bezichtigte er auch mal andere Spieler, schon wieder am Kreidefelsen gezeltet zu haben. Zu den Legenden zähle ich in jedem Fall Winni Schering, Ecki Neese (hat mit der handgezeichneten Chronik aus dem hauseigenen E.N. Verlag glänzende Öffentlichkeitsarbeit betrieben) und Hartmut „Erni“ Schulz (der das erste Vater-Sohn-Paar mit Kreiselkalle bildete), die ja quasi alle 50 Jahre mit Puls durchlebten und heute noch mit Leib und Seele dabei sind. Alle Drei waren als Spieler ziemlich unbequem, geradezu giftig (Winnis 2. Identität: Klippen von Dover). Und Schatzmeister Winni hat es wohl als einziger Greifswalder geschafft, seine Frisur unbeschadet aus den 60ern ins Heute zu transportieren.
Nun ja… Taschentuch genommen, Tränen weggewischt und ein dickes DANKE gesagt für dieses mehr als amüsante Interview über einen mehr als traditionellen Greifswalder Fußballverein. Fortsetzung folgt…